Atem

Man hat die Ketten und Eisen von meinen Armen und Beinen genommen. Auch von meinem Hals. Man hat mich ins Licht zurückgebracht. Man gab mir zu essen. Ein wenig. Viel brauche ich nicht. Man hat meine Wunden geheilt. Soweit das eben ging. Die Schmerzen lassen langsam nach. In mir schweigt alles. Nur mein Atem brüllt mich an. Jede Minute. Jede Sekunde. Nacht und Tag. Das hat sich nicht geändert.

Die Zunge fährt über die Lippen. Ich schlucke. Die Zunge berührt die Zähne, den Gaumen. Ich atme ein. Ich atme aus. Freiheit. Das Wort scheint Erinnerung. Oder will ich das nur glauben.

Das letzte Wort scheint im Raum zu schweben. Alle schweigen und sehen mich an. Meine Stimme ist mir fremd. Sie klang anders, als nur ich sie hörte. Das Schweigen bleibt. Innen wie außen. Mit jedem neuen Wort.

im zentrum der sprachlosigkeit, der vorhölle des bewußtseins, ist der geschmack von tränen im hals meine einzige erklärung.

wär ich dir
doch nie
begegnet
hätt ich dich
doch übersehen
in der masse
untergehen
lassen
deine stimme
schlichtweg überhört
oder wäre ich
trotz allem
einfach weiter
immer weiter
ohne dich
gegangen
ohne jemals wieder
dir
im spiegel
zu begegnen

mundgeburt und
ein gequältes
tier zuletzt
die kunst!
das lachen!
der schrei!

die morde

die würde des menschen ist weich
und warm wie blut
maximal dehnbar
kurz nur
bevor sie gerinnt

all die morde

das wird
nicht wieder
gut

die liebe
ein spiel
das bis auf den boden reicht
vielleicht grundlos

die begegnung mit der ursache meines zufalls
ist das geschenk einer vergangenheit.

Antigone

es ist
kein gott
jenseits
der illusion

wenn ich hinausginge
und fände
verborgen
im sand
im tod
?
einen bruder

mit euch
zu brechen
ist gesetz

kresse

als kind in watte gepackt
versucht
auf watte zu wachsen
was nicht gelang
bitteres kraut

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